„Superfood“ Matcha? – Interview mit Prof. Dr. Ulrich Engelhardt

Wie gesund ist eigentlich eine Schale Matcha?

„Vorbeugend gegen Krebs und Alzheimer“, „besonders belebend“ und „reich an Vitaminen“ soll der grüne Tee aus Japan sein. Wer im Internet nach einer Antwort sucht, findet schnell Berichte, über die positive Wirkung unterschiedlicher Inhaltsstoffe. Woher diese Erkenntnisse stammen und wie seriös sie sind, ist für den Laien meist schwer nachvollziehbar.
Wir haben Prof. Dr. Ulrich Engelhardt vom Institut für Lebensmittelchemie der TU Braunschweig gebeten, uns mehr über die chemische Zusammensetzung von Matcha zu erzählen und die Ergebnisse bekannter Studien einzuordnen.

Herr Prof. Dr. Engelhardt, ist es für Sie als Lebensmittelchemiker teilweise frustrierend zu sehen, wie Matcha in der Werbung als neues „Superfood“ angepriesen wird?

Das Frustrierende ist die Übertreibung, die damit einhergeht. Man differenziert Matcha weitgehend von grünem Tee und rechnet ihm Werte zu, die oftmals gar nicht zutreffen können. Matcha ist in erster Linie eine Abart von grünem Tee, die traditionell unter anderen Bedingungen produziert und anders konsumiert wird.

Ein großes Verkaufsargument ist die wach machende Wirkung durch Koffein. Wieviel Koffein enthält ein Schale Matcha eigentlich im Vergleich zu einem Kaffee?

Zum Koffeingehalt bei Matcha gibt es per se wenige Daten. Tee im Allgemeinen enthält grob gesagt zwischen 2-5% Koffein pro Gramm, wobei es durchaus große Schwankungen bei verschiedenen Arten geben kann. Nehmen wir also einen Mittelwert von 3%. Kaffee enthält üblicherweise 1-2%. So gesehen enthält Tee mehr Koffein. Allerdings verwendet man bei Kaffee durchschnittlich 50g pro Liter. Bei Tee sind es je nach Zubereitungsart 10-20g. Die Extraktionseffizienz ist ungefähr gleich, wodurch Kaffee in der Tasse letztlich einen höheren Koffeingehalt aufweist.

Wieviel Koffein ist in Matcha?

Gibt es generell Unterschiede beim Koffeingehalt von schwarzem und grünem Tee?

Aus meiner Sicht gibt es keine systematischen Unterschiede. Es wird oft gesagt, dass grüner Tee etwas weniger Koffein enthält. Das mag je nach Anbaugebiet auch so sein, aber generell können Sie schwarzen und grünen Tee nicht anhand des Koffeingehalts unterscheiden.

Interessanterweise findet man immer noch Texte, die zwischen Koffein und Thein unterscheiden. Ist dies gerechtfertigt?

Der Begriff Thein stammt aus einer Zeit, als man davon ausging, es strukturell vom Koffein abgrenzen zu können. Chemisch gesehen ist es jedoch genau das Gleiche, weshalb man auch bei Tee von Koffein reden sollte.

Die Wirkungsweise ist also völlig identisch?

Bei isoliertem Koffein gibt es keine Unterschiede. Allerdings hat Tee eine andere chemische Umgebung als Kaffee oder Cola und es kann sein, dass die Aufnahme ein wenig von dieser beeinflusst werden könnte.

Im Fall von Matcha wird in diesem Zusammenhang besonders das Zusammenwirken mit L-Theanin hervorgehoben, das für eine sanftere Wirkung des Koffeins verantwortlich seien soll.

Es gibt in der Tat Untersuchungen, die dafür sprechen, dass durch Theanin erstens die Wirkung des Koffeins modifiziert und zweitens ein gewisses Wohlbefinden oder ein Gefühl von Entspannung ausgelöst wird.
Matcha besitzt im Vergleich mit anderen Teearten einen hohen Theanin-Gehalt, da der beschattete Anbau die Biosynthese der Pflanze verändert. Im Gegensatz zu unbeschattet gewachsenen Teearten werden weniger Polyphenole wie Catechine und dafür deutlich mehr Theanin gebildet.

Gibt es in diesem Bereich schon weiterführende Studien, die das Zusammenwirken bestätigen?

Nach allem, was ich recherchiert habe, gibt es wenige. Ich weiß, dass in Japan einige Wissenschaftler daran arbeiten. Es fehlen aber insgesamt Daten. Was ich aus eigenen Untersuchungen bestätigen kann, ist, dass das Verhältnis von Theanin zu Catechin anders ist, als bei anderen Grüntee-Arten. Allerdings haben wir bei dieser Untersuchung nicht berücksichtigen können, wie die Stoffe letztlich vom Körper aufgenommen werden.

Ebenfalls oft berichtet wird, dass das Koffein im Matcha eine länger andauernde Wirkung aufweisen würde, als das Koffein im Kaffee und erst im Darm und nicht schon im Magen verarbeit wird. Ist dies aus wissenschaftlicher Sicht möglich?

Da sind wir wieder bei der chemischen Umgebung, welche die Wirkung beeinflussen kann. Es gibt eine Studie, die besagt, dass Koffein im Tee anders aufgenommen wird, aber ich kenne auch andere Studien, die keine Unterschiede feststellen konnten.
Die These, die dem Ganzen zugrunde liegt, ist, dass Koffein im Tee in Stapelkomplexen mit Catechinen vorliegt, deshalb langsamer aufgenommen wird und wahrscheinlich auch länger anhält. Das hätte eine gewisse Logik, allerdings kenne ich keine Daten, die dies zweifellos belegen.

Was befindet sich außer Koffein eigentlich noch in einer Schale Matcha?

Der größte Teil von Matcha oder Tee im Allgemeinen, besteht aus phenolischen Verbindungen. Bei Grüntee sind dies in besonderem Maße die Catechine oder Flavanole, die man auch als Antioxidantien bezeichnet.

Im Matcha ist ihr Anteil allerdings geringer als in einem gänzlich unbeschattet gewachsenen Grüntee. Auf der anderen Seite haben Sie bei einem normalen Blatt-Tee das Problem, dass durch den Aufguss mit heißem Wasser nicht alle Inhaltsstoffe aus dem Blatt in die Tasse gelangen. Verallgemeinert kann man sagen, dass sich nur 30-50% der enthaltenen Stoffe eines Teeblatts durch einen Aufguss extrahieren lassen. Das sieht bei einem Matcha, wo das gesamte, zermahlene Blatt konsumiert wird natürlich anders aus. Auch die Menge an Tee, die zur Zubereitung einer Schale Matcha verwendet wird, ist in der Regel höher als bei einer Tasse aufgegossenem Grüntee. Am Ende bleiben jedoch die Fragen: Was macht der Körper damit? Wo werden die Stoffe freigesetzt und zu welchem Anteil (Bioverfügbarkeit)? In welcher Form können sie wirksam werden? Hierzu gibt es noch keine ausreichenden Untersuchungen.

Matcha Superfood EGCG

Prominent wird beim Thema Matcha und Grüntee allgemein, die Wirkung des Catechines EGCG (Epigallocatechingallat) hervorgehoben, dem als Antioxidans u. A. eine Krebs und Alzheimer vorbeugende Wirkung zugeschrieben wird. Wie sind die existierenden Studien hierzu einzuschätzen?

Das ist eine schwierige Frage. Hierbei handelt es sich um ein sehr weites Feld an Studien. Es beginnt mit Studien an Zellkulturen, über Tierexperimente, bis hin zu der einen oder anderen Humanstudie. Guten Gewissens kann ich hierzu nur sagen, dass die meisten dieser Studien von einem positiven Effekt ausgehen. Man muss jedoch wie gesagt bedenken, dass viele Komponenten aus Lebensmitteln im menschlichen Körper nicht an die Stellen gelangen, an denen man sie gerne einsetzen würde. Der Anteil an EGCG, der sich nach Teekonsum im Blut nachweisen lässt, ist sehr gering.
Die gegenwärtige Studienlage besagt nicht, dass die Einnahe von EGCG eine Art von Therapie darstellt, sondern lediglich, dass Personen, die viel hiervon zu sich nehmen, eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen, an diesen Krankheiten zu erkranken. Es sind aber noch weitere Untersuchungen notwendig, um eindeutige Aussagen treffen zu können.

Wie Sie bereits erwähnten, ist der Catechin-Gehalt eines Matcha im Vergleich zu unbeschattet gewachsenem Grüntee deutlich herabgesetzt. Sollte Jemand, der Tee gerade wegen des hohen EGCG-Anteils trinkt, lieber gleich zu einem klassischen Sencha greifen?

Davon ist auszugehen. Der Catechin-Gehalt ist pro Blatt bei unbeschatteten Tees deutlich höher, als bei einem Matcha. Zu bedenken ist jedoch auch hier, dass durch einen normalen Aufguss nicht das gesamte Epigallocatechingallat eines Blattes extrahiert wird.

Viele Fans von Matcha-Latte Getränken verwenden bewusst Sojamilch, da manche Studien besagen, dass die Proteine aus Kuhmilch die Aufnahme der Catechine blockieren.

Grundsätzlich ist es so, dass Catechine sich gut an Proteine binden. Es gibt sowohl Studien die besagen, dass durch die Zugabe von Milch die Bioverfügbarkeit von Catechinen geringer wird, wie auch Studien, die das Gegenteil behaupten. Ob es bei Sojamilch und Kuhmilch generell Unterschiede gibt, kann ich nicht beantworten. Ich würde es aber bezweifeln, da Sojamilch ebenfalls Proteine enthält.

Gibt es auf der anderen Seite Lebensmittel, die man zu einem Matcha oder Grüntee verzehren sollte, um die Aufnahme bestimmter Inhaltsstoffe zu unterstützen?

Empfehlungen zur Verbesserung der Resorption von Inhaltsstoffen sind mir nicht bekannt.
Es gab Hinweise in umgekehrter Weise. Man ging lange davon aus, dass Tee die Aufnahme vom Eisen verschlechtern würde.

Haben sich diese Hinweise bestätigt?

Das ist immer noch nicht endgültig geklärt. Es hängt mit der Ernährung des Menschen zusammen. Eine Person mit schlechtem Eisenstatus, die sich vorrangig von pflanzlichen Eisenquellen ernährt, sollte sicher keine stark phenolhaltigen Getränke während der Mahlzeiten zu sich nehmen, sondern 1-2 Stunden später. Man kann nicht sagen, dass Teekonsum generell den Eisenstatus eines Menschen verschlechtert.

Manche Internetseiten warnen vor der Gefahr von Nierenstein-Bildung, durch die im Matcha enthaltene Oxalsäure. Wie hoch ist das Risiko einzuschätzen?

Tee allgemein enthält schon gewisse Mengen an Oxalat. Ob dies jedoch ursächlich für die Bildung von Nierensteinen ist, kann ich statistisch nicht sagen. Ohne es medizinisch bewerten zu wollen, könnte es sein, dass Menschen, die generell zur Bildung von Nierensteinen neigen, nicht zuviel Oxalat zu sich nehmen sollten.

Wie gesund ist Matcha? Interview

Gibt es ansonsten irgendwelche gesundheitlichen Bedenken die gegen den täglichen Matcha-Genuss sprechen könnten?

Natürlich sollte man nach den neueren Empfehlungen der EFSA (European Food Safety Authority) generell mit der Aufnahme von zu viel Koffein vorsichtig sein, aber darüber hinaus spricht aus meiner Sicht bei einem gesunden Menschen nichts gegen regelmäßiges Teetrinken.

Alle Anleitungen zur Matcha-Zubereitung betonen, dass man ihn nicht mit kochendem Wasser anrühren sollte. Hätte es auf chemischer Ebene Folgen, wenn man 80°C überschreiten würde?

Die Argumentation ist oft, dass durch zu heißes Wasser Vitamine und andere Inhaltsstoffe zerstört werden. Allerdings würde dies nur geschehen, wenn man den Tee über eine längere Zeitspanne erhitzen würde. Kochendes Teewasser hingegen kühlt von selbst ab, wodurch es zu keinem dramatischen Abbau kommen sollte.

Das beim Matcha obligatorische Aufschäumen mit einem Bambusbesen (Chasen) müsste das Abkühlen auch zusätzlich beschleunigen.

Wobei sie dadurch dem Tee vermehrt Sauerstoff zuführen, was bei erhöhter Temperatur die Oxidation beschleunigen kann. Allerdings liegen mir hierzu keine experimentellen Daten vor.

Ist es nicht sogar so, dass eine höhere Wassertemperatur zumindest beim Blatt-Tee zu einer verbesserten Lösung der Inhaltstoffe beiträgt?

Das stimmt, die Extraktion kann so verbessert werden. Wobei Blatt-Tee auch ein sehr dehnbarer Begriff ist. Grundsätzlich lässt sich sagen: Je größer das Blatt ist, desto länger dauert die Extraktion, um eine bestimmte Menge an Inhaltstoffen zu lösen.

Kann man auf der anderen Seite einem mit kaltem Wasser zubereiteten Sencha, durch längere Ziehzeit, ähnlich viele Inhaltsstoffe entlocken wie einem traditionell aufgesetzten Grüntee?

Das müsste man experimentell untersuchen. Es hängt sicherlich von vielen Faktoren, wie der Partikelgröße der Blätter und ähnlichem, ab. Viele Stoffe, wie beispielsweise das Theanin, lassen sich gut mit kaltem Wasser lösen, andere, wie Koffein, brauchen wahrscheinlich schon eine erhöhte Temperatur.

Noch eine abschließende Frage zur Aufbewahrung von Matcha: Empfohlen wird meist die Lagerung im Kühlschrank. Das macht wahrscheinlich auch aus chemischer Sicht Sinn?

Eine kühle Lagerung verlangsamt generell Zersetzungsprozesse. Worauf man ebenfalls achten sollte, ist, dass das Matcha-Pulver wirklich trocken, lichtgeschützt und geschützt vor Fremdgerüchen gelagert wird.

Das Interview führte Michael Schön für Matcha-Tee.org im Juli 2016

 

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